Scheuklappendenken

Thema 28/2009

Man kann immer und überall beobachten, wie sich Menschen ein Weltbild zurecht legen, dafür Propaganda machen und ihre Energie auf die Verwirklichung entsprechender Ideen verwenden. Lebenseinstellungen sind meist reduziert auf mehr oder weniger fixe Ideen. Um diese Einleitung nicht unnötig auszudehnen, mögen hier unmittelbar einige Beispiele zur Veranschaulichung angeführt werden:

BEISPIEL 1 - IDEALISMUS

Hier hat der im Jahr 2007 verschiedene Suhotra prabhu bereits einmal einen erleuchtenden Beitrag in dem Magazin WIE ES IST (Jahrgang 1983, Nummer 5) veröffentlicht (Der neue deutsche Idealismus). Suhotra prabhu zeigt auf, dass praktisch alle Idealisten das Wesen der materiellen Welt nicht verstehen oder nicht verstehen wollen. Er nimmt dabei natürlich Bezug auf die damals im Aufstreben befindliche Partei der Grünen, die erstmals mit 5,5 % in den Bundestag eingezogen waren.

Idealisten streben einen vollkommenen Zustand an, obwohl das in der materiellen Welt eben nicht möglich ist. Das sehnsüchtige Verlangen nach idealen Bedingungen zeigt, dass die Seele in Wirklichkeit das tiefe Bedürfnis hat, in die vollkommene, spirituelle Welt zurück zu kehren. In der Zwischenzeit nun sind die Grünen ja recht realistisch geworden; die Realos haben sich wohl endgültig durchgesetzt. Dennoch ist noch der Hang zur Weltverbesserung wahrnehmbar. Leider sind die Ansätze hierzu praktisch ausschließlich materieller Natur und damit zum Scheitern verurteilt.

Wir können für uns und die Welt nur einen positiven Effekt entfalten, wenn wir Bemühungen auf der spirituellen Ebene unternehmen. Die materiellen Zustände sind ausschließlich auf spirituelle Fehlhaltungen zurückzuführen. Wir erhalten das Resultat, das uns zusteht. Wir können nicht direkt auf die Materie einwirken, denn diese wird voll und ganz von Gott gelenkt, nämlich entsprechend unserer inneren Haltung(en).

Suhotra prabhu zeigt in o.g. Beitrag auf, dass materielle Idealisten in der Geschichte immer wieder an der Tatsache gescheitert sind, dass die materielle Welt ihre eigene Dynamik aufweist:

a-brahma-bhuvanal lokah
punar avartino 'rjuna
mam upetya tu kaunteya
punar janma na vidyate

Alle Planeten in der materiellen Welt - vom höchsten bis hinab zum niedrigsten - sind Orte des Leids, an denen sich Geburt und Tod wiederholen. Wer aber in Mein Reich gelangt, o Sohn Kuntis, wird niemals wieder geboren. (Bhagavad-gita 8.16)

Die Haltung, Gutes für die Welt tun zu wollen, um den angestrebten Idealzustand zu fördern, wird dennoch von Shri Krishna anerkannt:

athaitad apy asakto 'si
kartum mad-yogam ashritah
sarva-karma-phala-tyagam
tatah kuru yatatmavan

Wenn du jedoch nicht imstande bist, in diesem Bewusstsein (im Krishna-Bewusstsein) für Mich zu arbeiten, dann versuche, allen Früchten deiner Arbeit zu entsagen und im Selbst verankert zu sein. (Bhagavad-gita 12.11)

His Divine Grace A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada kommentiert hierzu u.a.:

Es kann sein, dass man aus gesellschaftlichen, familiären oder religiösen Erwägungen oder angesichts anderer Hinderungsgründen nicht einmal imstande ist, mit den Tätigkeiten des Krishna-Bewusstseins zu sympathisieren. Wenn man sich direkt den Tätigkeiten des Krishna-Bewusstseins anschließt, könnten Familienangehörige Einwände erheben, oder es könnten viele andere Schwierigkeiten auftreten. Einem Menschen, der vor diesem Problem steht, wird geraten, die angehäuften Ergebnisse seiner Arbeit für einen guten Zweck zu spenden. ... So kann man allmählich auf die Ebene des Wissens erhoben werden. Manchmal sieht man auch, dass jemand, der an den Tätigkeiten des Krishna-Bewusstseins nicht interessiert ist, einem Krankenhaus oder einer anderen sozialen Einrichtung Geld spendet und so den schwer verdienten Früchten seiner Arbeit entsagt. Auch dies wird hier empfohlen. ... So gesehen können auch sozialer Dienst, Dienst an der Gemeinde, an der Nation, Opfer für das Vaterland usw. annehmbar sein, mit dem Ziel eines Tages auf die Stufe reinen hingebungsvollen Dienstes zum Höchsten Herrn zu gelangen. In der Bhagavad-gita (18.46) finden wir die folgende Aussage: yatah pravrittir bhutanam: Wenn man sich dazu entschließt, für die höchste Ursache Opfer darzubringen, wird man, selbst wenn man nicht weiss, dass die höchste Ursache Krishna ist, durch diesen Vorgang des Opfers allmählich zu der Einsicht gelangen, dass Krishna die höchste Ursache ist.

Wir sehen hier, dass der Vaishnavismus von Natur aus weder dogmatisch noch fundamentalistisch ist. Vielmehr lehrt Shri Krishna vielschichtig und zum Wohl aller Seelen, je nach ihrem Bewusstseinszustand.

BEISPIEL 2 - Fundamentalisten (Dogmatiker)

Wie wir gerade eben hinsichtlich des Beispiels 1 beschrieben haben, ist der Weg des Krishna-Bewusstseins weder fundamentalistischer noch dogmatischer Natur. Fundamentalisten bzw. Dogmatiker übersehen meist den Umstand, dass sich die unzähligen Seelen in verschiedensten Umständen befinden und wollen alle über einen Kamm scheren. Das führt zu Brutalität und Rücksichtslosigkeit. Man sieht nicht die eigenen Bedingtheiten und fühlt sich als überlegen, ohne die eigenen Scheuklappen zu bemerken. Mit dieser inneren Haltung kann man nicht aus dem materiellen Dasein entkommen, denn ein Mangel an Barmherzigkeit mit anders gearteten Lebewesen ist ein Herzfehler, der noch korrigiert werden muss, bevor wir in die Gemeinschaft Gottes kommen können. Paramatma (die Überseele) benutzt solch begrenzte Charaktere für bestimmte Zwecke, zum Beispiel um anderen als Echo zu dienen. Mit anderen Worten: Wir kommen unter fundamentalistischen oder dogmatischen Einfluss, wenn wir ähnliche Tendenzen aufweisen oder gezeigt haben (möglicherweise in früheren Leben).

Es gibt unzählbar viele verschiedene Fundis bzw. Dogmatiker, die sich oft unveröhnlich gegenüber stehen, z. B.

Nationalisten - Globalisten
Kapitalisten - Kommunisten
religiöse Dogmatiker - Materialisten
Formalisten - Chaoten
Diktatoren - Anarchisten
Feministinnen - Machos
Monarchisten - Republikaner

u.v.m. (wobei die Kategorien sich natürlich überschneiden)

Auf diese Weise findet in der Welt ein vielfacher Wettbewerb oder Kampf um die Oberhoheit statt, besonders in den Massenmedien, im internet, auf youtube usw.

All diese Bemühungen sind nicht unbedingt wertlos, je nachdem, mit welchem Grad einer Beziehung zu Gott sie erfolgen. Auch hier gilt der oben angeführte Kommentar von Shrila Prabhupada, das heißt wir können aus unserer beschränkten Sichtweise heraus weiter fortschreiten hin zur göttlichen Sphäre, in der sich alle scheinbaren Widersprüche lösen.

His Grace Ravindra Svarupa prabhu hat in einem Beitrag auf seiner Webseite www.soithappens.com kürzlich dargelegt, wie der Vaishnavismus die Ideale des Kaptialismus und des Kommunismus miteinander spirituell synergetisch vereint. Für diejenigen, die sich um den Fortbestand des Wirtschaftssystems sorgen, sind diese Abhandlungen unverzichtbar. Sie transzendieren das Scheuklappendenken in beiden Lagern, die sich auf der materiellen Ebene unversöhnlich entgegen stehen; denn Dualität ist nun einmal das Wesen materiellen Bewusstseins, während der Spiritualist hinter all diesen Phänomenen die Hand Gottes ausfindig machen möchte, um zu lernen, um offen zu bleiben, um das Wesen transzendentalen Glücks kennen zu lernen, das weit jenseits der Dualitäten angesiedelt ist.

Spirituelle Synergie darf nicht mit dem Hegel'schen Prinzip der Synthese von These und Antithese verwechselt werden. Zum Beispiel wäre es verfehlt anzunehmen, die Lösung des Konflikts zwischen Männern und Frauen sei die Schaffung von Zwitterwesen. Nein, im Vaishnavismus erkennt man, dass es göttliche Gründe für die Existenz verschiedener Körper und Geister gibt. Sie mögen zum Wohl der Gesellschaft und im Gottesdienst sinnvoll zusammen wirken. Weder ist es förderlich, wenn sich Frauen wie Männer benehmen noch ist es praktisch, wenn sich Männer wie Frauen verhalten.

Zur Dualität zwischen religiösen Dogmatikern und Materialisten seien hier noch klärend folgende Anmerkungen abschließend erlaubt:

Es mag den einen oder anderen verwundern, wenn hier Materialisten ebenfalls zu den Fundamentalisten bzw. Dogmatikern gezählt werden. Das sind sie in der heutigen Zeit nicht gewöhnt, denn die ganze moderne Gesellschaft begünstigt ihre Ansichten. In einem solchen Umfeld hat man die Neigung, diejenigen als Sektierer zu bezeichnen, die inmitten der illusionierenden Energie mayas spirituelle Inhalte leben und propagieren. Dabei ist es ja gerade umgekehrt. Es sind die Materialisten, die sektiererisch im Kosmos im Schein materieller Unabhängigkeit leben, unter Ausblendung der höheren spirituellen Realität. Die Störungen für den Frieden gehen von den Materialisten aus, denn sie sind es, die das egozentrische Weltbild fördern. Diese Versessenheit fällt natürlich inmitten so vieler Gleichgesinnter kaum auf, auch wenn die Frustration der Materialisten im Lauf der Zeit größer und größer wird, weil die Scheuklappen eben die Sicht auf das spirituelle Glück versperren. Es muss der Vollständigkeit halber hier angeführt werden, dass sich Materialisten verschiedenster Ausprägung gegenüberstehen. Sie alle trachten nach mehr und mehr Gütern; ein sehr anstrengendes, ermüdendes und letztlich langweiliges Unterfangen (Der Kampf ums Dasein). Wer den Blick auf die ewige spirituelle Natur richtet wird nach und nach frei von diesen Leiden.

Dann gibt es natürlich die religösen Dogmatiker, die Gott in ein Schema pressen möchten. Sie halten sich für die einzig Geretteten und übersehen dabei, dass Gott es mit einer unendlich großen Vielfalt von Lebewesen zu tun hat. Die religiöse Kleingeisterei ist in diesem Licht betrachtet einfach unakzeptabel. Wenn Gott auch so wäre, dann könnte von Barmherzigkeit nicht die Rede sein. Das ist der Grund, warum sich immer mehr Menschen von den etablierten Religionen abwenden. Die Fragen jenseits der jeweiligen Scheuklappen werden einfach nicht in einer zufriedenstellenden Weise beantwortet. Auf diese Weise arbeiten religiöse Fanatiker den Materialisten in die Hände. Sie leisten Gott einen recht unzureichenden Dienst. Auch hier gilt natürlich, dass Gottes Geduld unerschöpflich ist - jedem das seine.

Gott ist groß!

Ihr Diener

Parivadi dasa