Bewusstes Sein II

Thema 36/2012

Im letzten Beitrag haben wir erfahren, dass wir geeignet sind, unsere individuellen Erfahrungen selbst zu machen. Diese innere Freiheit ist leider in religiösen Kreisen keine Selbstverständlichkeit. Gerade die dominierende religiöse Kraft unseres Kulturraumes arbeitete in der Geschichte lange Jahre mit Brachialgewalt und ist auch heute noch vom Dogmatismus geprägt. Die katholische Kirche versteht sich als die universale Quelle aller Wahrheit und legt diese fest.

Wir können nun aufgrund der Fortschritte, die bereits bei der Ausarbeitung einer ISKCON-Verfassung erzielt worden sind, berichten, dass die ISKCON-Angehörigen keinen Dogmatismus zu befürchten haben. Vielmehr erkennen die Vaishnavas das unantastbare Recht eines jeden einzelnen auf individuelle spirituelle Verwirklichung an. Dies ähnelt der Freiheit eines Christenmenschen, wie sie Martin Luther forderte. Jeder Mensch ist spirituell geeignet, eigene Einsichten zu haben!!!!!

Vor dem Erstarken des katholischen Papsttums zeichnete sich das Christentum durch eine wesentlich größere geistige Freiheit aus als wir es heute vorfinden. So waren es die Arianer, eine große christliche Strömung, die Jesus Christus als einen göttlich inspirierten Lehrer sahen, nicht jedoch als Gott! Sie stimmten also mit den Muslimen überein und auch mit den Vaishnavas, die in Jesus ebenfalls einen göttlich Gesandten sehen.

Im Laufe der Zeit nun einigten sich die Kirchenväter darauf, Jesus sei Gott Selbst, um die Diskussion nach mehr als 500 Jahren zu beenden. Seitdem muss man es als Christ halt glauben. Davor durfte man die andere Variante fahren und konnte sich in guter Gesellschaft als autorisiert bezeichnen. Immerhin war der Gotenkönig Theoderich der Große, der im fünften Jahrhundert lange Jahre das weströmische Reich führte, ein Arianer, ließ aber in seiner vorbildlichen religiösen Toleranz auch die katholische Lehrmeinung gelten. Diese Souveränität zeugt von innerer Stärke und wahrer innerer Glaubensüberzeugung, die später einer unterdrückerischen Kirchenpolitik, ausgeübt durch Päpste und weltliche Herrscher, wich.

Freilich kann eine jede religiöse Organisation nur effektiv wirken, wenn die Grundüberzeugungen einheitlich verbreitet werden. Man muss also unterscheiden zwischen der inneren Überzeugung und der Verbreitung derselben. Es stört oder wirkt zuweilen zerstörerisch, wenn innere Überzeugungen, die nicht mit den allgemein anerkannten Schlussfolgerungen der jeweiligen Tradition übereinstimmen, von Lehrern der jeweiligen Richtung verbreitet werden. Dessen muss sich ein Sprecher einer religiösen Organisation bewusst sein; es ist klar und selbstverständlich.

Glaubenszwang wirkt jedoch beengend und lässt keinen Raum für individuelles Wachstum. Wenn wir nicht alles, was uns vorgesetzt wird, glauben können, dann müssen wir kein schlechtes Gewissen haben, weil wir unser individuelles Recht auf Selbstverwirklichung und auch Zeit für illusorische Abenteuer haben! Shri Krishna hat viel mehr Geduld als wir uns dies auch nur ausmalen können. Bei der Inquisition ging es leider auch um innere Gesinngungschnüffelei. Den Opfern wurde nicht nur ein schlechtes Gewissen eingejagt, mit der ewigen Hölle gedroht usw; Sie wurden leider auch verfolgt und auf vielerlei Weise gequält und umgebracht. Das finstere Mittelalter ist zwar vorbei, aber die feinstofflichen Reste dieses Systems klingen immer noch nach. Es ist daher höchste Zeit, mittels spiritueller Wissenschaft Licht ins Dunkel zu bringen, um insbesondere auch Atheismus als ebenso falsch zu entlarven wie die dogmatischen Lehrgebäude zur Verknechtung unschuldiger Menschen, die Halt im Guten (Gott) suchen.

Bei der vedischen Selbstverwirklichung verzichtet man auf jede Form innerer und äußerer Vergewaltigung, weil sie auf dem innersten Wesen der Paktizierenden selbst aufbaut, also ein natürlicher Wachstumsprozess ist, der die besten Früchte trägt, wenn der Praktizierende selbst mittels seines individuellen Bewusstseins zusieht, wie er sich entwickelt. In der spirituellen Wissenschaft macht man also Experimente an sich selbst und prüft nach, ob das erwartete Resultat mit dem übereinstimmt, was erfahrenere Praktizierende gesagt haben. Dieser Weg ist das größte Abenteuer für einen jeden und verspricht die Erlangung ewiger Glückseligkeit inmitten anderer ewig Glückseliger, die allesamt der Quelle aller Freude, Shri Krishna, der ursprünglichen Quelle von allem, dienen.

In weiteren Beiträgen dieser Reihe werden wir noch auf einige Details der Wissenschaft der Selbst- und Gotteserkenntnis eingehen. Hoffentlich erfreuen Sie sich an der faszinierenden Welt der Erkenntnisse, die sich durch unser eigenes göttliches Wesen mit der Hilfe der göttlichen Urquelle ganz natürlich ergeben.

Ihr Diener

Parivadi das