Re: sex. Missbrauch innerhalb der ISKCON
Geschrieben von Dr. Berghof am 21. April 2006 17:22:
Als Antwort auf: Re: sex. Missbrauch innerhalb der ISKCON geschrieben von Parivadi das am 20. April 2006 20:44:51:
Versuch einer Zusammenfassung des Missbrauchproblems:
So schrecklich und traumatisch es für die meisten Mitglieder und Freunde der iskcon es nach wie vor ist, dass es sogar in einer wunderbaren und echten spirituellen Bewegung mit hohem ethischen Anspruch wie iskcon Missbrauchsfälle geben kann, sollte man auch nicht vergessen zu erwähnen, dass wohl kaum eine andere Bewegung mit dem Problem in den letzten Jahren so offen umgegangen ist.
Auf zahlosen Internet-Foren, iskcon-Zusammenkünften und selbst im Iskcon Communications Journal, das hauptsächlich für Akademiker und Wissenschaftler vierteljährlich erscheint, wurden bereits spätestens seit 1996 Fälle von Missbrauch schonungslos offen und umfassend beschrieben. Selbst Gegner unserer Bewegung haben da teilweise schon von Selbstzerfleischung gesprochen und waren schockiert über soviel Schonungslosigkeit.
Die Führung der iskcon hat sich aber nach anfänglichem Zögern entschlossen dazu bekannt, dass die einzige Art, mit dem schrecklichen Problem umzugehen, darin besteht, es möglichst offen und transparent anzugehen. Und jeden Fall mit allen strafrechtlichen und vereinsrechtlichen Mitteln zu verfolgen. Das ist der einzige angemessene Weg.
Eine der Folgen der offenen Diskussion war, dass Mitglieder verlorengingen, aber das wurde bewusst in Kauf genommen, da die Integrität der Bewegung höher bewertet wurde. Und das mit Recht. Eine weitere Folge war, dass die bereits bestehenden Iskcon-Einrichtungen zum Schutz von Kindesbmissbrauch CAP ( Child Abuse Protection) umfangreich erweitert wurden und möglichst in allen Ländern mit iskcon-Tempeln etabliert wurden. Dabei wurde auf Verhinderung und Aufklärung das größte Gewicht gelegt. Es wurde auch umfangreiche Beratung von Experten und Fachleuten in Anspruch genommen. Und es wurde ein Regelwerk geschaffen, das unter anderem vorsieht, jeden einzelnen Missbrauch den Strafbehörden zu melden und auch iskcon-intern entschlossen jedem Fall sofort nachzugehen und ihn zu veröffentlichen. Zu einem vergleichbar offenen Umgang mit dem Problem, von dem tragischerweise alle größeren Institutionen der Welt betroffen sind ( Pfadfinderorganisationen usw.) haben sich die großen Kirchen selbst nach 2.000 Jahren nicht zu einer dermaßen großen Offenheit durchringen können. In Iskcon ist es immerhin nach 30 Jahren so weit gekommen. Auch das sollte man finde ich einmal anerkennen. All das ist nämlich nicht so leicht wie es manchen scheint, die nur als äußere Zuschauer darüber urteilen. Wie man sich dabei fühlt, wenn man im unmittelbaren Bekanntenkreis davon betroffen ist, lässt sich nicht beschreiben.
Eigentlich ist jeder einzelne Fall einer zuviel und es ist für wirklich jedes ernsthafte iskcon Mitglied ein unbeschreibliches Trauma gewesen, zu erkennen, dass selbst bei uns so etwas möglich sein kann.
Man sollte sich aber einmal etwas näher mit dem Thema beschäftigen, um damit angemessen umgehen zu können und die nötigen Informationen zu haben, was natürlich vielen erst einmal sehr unangenehm ist, weil es sich um so eine widerliche Sache handelt. Dann wird man unter anderem feststellen, dass die Natur der Sache schon sehr trickreich ist und dermaßen pervers Veranlagte oft extrem schwer zu erkennen sind, da sie sich oft jahrelang scheinbar normal verhalten, meist als völlig harmlose, friedfertige Mitmenschen erscheinen, bis man sie dann, oft erst nach Jahren, endlich erwischt. Da waren die älteren, ersten iskcon-Mitgliedersicher anfangs sehr naiv und blauäugig, weil ihnen ganz einfach die Erfahrungen und Informationen fehlten.
Ich bin -nicht- mit Parivadi einverstanden, dass die ersten Mitglieder der iskcon überwiegend unfeine, verkommene Menschen waren und die nachkommenden Generationen die besseren Menschen, wie er anzudeuten scheint. Dies ist nicht die Wurzel des Problems, das scheint mir zu einfac , und es entspricht nicht der geschichtlichen Realität. Die meisten der ersten Schüler von Srila Prabhupada in den USA waren sehr gebildet ( viele MA BA PhD usw) und sehr befähigt in ihrem Umgang mit anderen, so dass sie in nur wenigen Jahren unter Anleitung von Srila Prabhupada eine weltweite Bewegung errichteten, die durch ihre Reinheit, ihre Freundlichkeit und ihren Charme eine unglaublich starke Anziehungskraft auf Hunderttausende von Menschen ausübte, die heute sicher nicht mehr überall im selben Ausmaß vorhanden ist. Perverslinge aber gibt es mit Sicherheit zu -allen- Zeiten. Die erste Generation von iskcon war ganz einfach überwiegend jung, naiv und idealistisch und auf dieses Problem nicht vorbereitet. Es gab kaum ältere Mitglieder und es hatte kaum jemand Erfahrung mit dem Managment einer so großen Organisation. Keiner hätte jemals gedacht, dass so etwas vorkommen könnte. Iskcon hat aber relativ schnell gelernt ( und ist sich bewusst, das permanent weiter zu lernen ist ) auch wenn man im Nachhinein immer klüger ist und vielleicht wirklich einiges in der Behandlung des Problems noch schneller hätte gehen müssen. Bedenken sollte man auch, das manche Missbrauchsfälle erst 20 Jahre später ans Licht treten. Das Problem ist allen bekannt, die beruflichin der Beratungsarbeit tätig sind.
Iskcon hat sich aber nicht gescheut, nach anfänglichem Zögern und einiger Verwirrung die nötigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Damit soll nichts beschönigt werden. Es ist sicher nichts schwarz-weiß und so bequem zu beurteilen, wie es macnhem Außenstehenden scheint. Es ist leicht für andere, die nicht betroffen sind, darüber zu urteilen und die Nase zu rümpfen. Sie übersehen aber dabei, das diese Dinge wirklich erschreckend oft auf der Welt geschehen und deshalb iskcon allein aufgrund seiner Größe irgendwann davon betroffen sein musste. So gehen manche offiziellen Schätzungen in der sogenannten normalen bürgerlichen Welt in Deutschland und Österreich davon aus, dass auf etwa fünf bis zehn Kinder (!) ein Missbrauch kommt (Je nach angenommener Dunkelziffer). Die meisten dieser Missbräuche geschehen im direkten Umfeld der Familie, bei Verwandten und Bekannten.
Die Quote in iskcon liegt sicher weit darunter. Dennoch ist das Problem ein sehr ernstes und tatsächlich inzwischen in iskcon mehr als sehr ernst genommenes. Es gibt wohl kein anderes thema , das dermaßen häufig und heftig in iskcon diskutiert wurde. Und man darf nie aufhören, immer wieder neu aufzuklären und vorzubeugen. Dennoch bringt es nichts, wenn alle sich nur aufregen und keiner etwas Praktisches tut, um es zu bekämpfen. Deshalb hat iskcon sich vor Längerenm dazu entschlossen, zu handeln.
Um die Geschicklichkeit und Durchtriebenheit der Perversen zu verstehen, möchte ich nur auf einen Fall hinweisen, in dem der Tempelpräsident einen sanftmütig und fleissig erscheinenden Junggesellen und Mönch 15 Jahre fast wie einen Sohn in gutem Glauben bei sich zu Hause wohnen hatte und nie das geringtse problem mit ihm hatte. wie sollte man einem solchen Menschen misstrauen. Und doch musste er eines Tages feststellen, dass seine Tochter bereits seit zwei Jahren in seinem eigenen Haus missbraucht wurde ohne dass er das geringste bemerkte und überstellte dieses Monster sofort der Polizei. Was dies für ein Trauma in der Familie auslöste, lässt sich nicht beschreiben. Das kann also wirklich überall geschehen , und je eher man das erkennt, desto besser kann man sich schützen.
Es gibt weltweit insgesamt mehrere hundert angenommene Missbrauchsfälle in iskcon, innerhalb der vierzig Jahre seit der Gründung, die alle von iskcon, zum Teil in öffentlichen Aufrufen, gesammelt und untersucht wurden und zum Zweck der Kompensation zum Teil immer noch behandelt werden. Wenn man bedenkt, dass zum größeren Umfeld Iskcons weit über eine halbe Millionen Menschen gehören, die permanent oder vorübergehend dabei waren, ist statistisch gesehen die Missbrauchsquote definitiv nicht so hoch wie in der übrigen Bevölkerung. Wegen der hohen ethischen Ansprücke von iskcon und der Nähe der weltweiten iskcon Familie zueinander ist aber die Sache dennoch mit viel größerer Dramatik verbunden, und wirklich jeder einzelne Fall ist extrem tragisch und definitiv einer zu viel.
Möge Gott allen ernsthaften Mitgliedern die Intelligenz geben, alles zu tun, um jeden einzelnen Fall zu verhindern und die Eindringlinge zu erkennen.
Die oben genannten mehrere hundert Fälle in 40 Jahren sind zu unterscheiden, es waren nicht alles Vergehen von sexuellem Missbrauch, es handelt sich zu einem großen Teil um Vorwürfe von Prügel oder Einschüchterung durch überforderte Lehrer. Bis in die siebziger Jahre war übrigens die Prügelstrafe an staatlichen deutschen und amerikanischen Schulen Standard.
Nicht alle Vorwürfe waren bei näherer Überprüfung haltbar. Die meisten waren nicht iskcon anzulasten sondern Verfehlungen einzelner Personen. Dennoch hat iskcon sich nicht vor der Aufarbeitung dieser schrecklichen Vorkommnisse gedrückt und fühlt sich spirituell stark genug, sich dieser wohl schwierigsten Herausforderung weiterhin zu stellen ohne die Augen zu verschließen.
Grob gesehen gab es die meisten Fälle von Missbrauch in den Internatsschulen Iskcons. In den Tagesschulen und in den Tempeln selbst kam es weniger häufig vor. Aus dem Grund wurden die Internatsschulen drastisch reduziert und fast nur noch Tagesschulen empfohlen.
Es gab auch große regionale Unterschiede. In Deutschland war die Missbrauchquote mit 1 dokumentierten Fall in 40 Jahren weit unter dem bundesdeutschen Durchschnitt der Normalbevölkerung( der Fall wurde sofort vor Gericht gebracht) in manchen Gegenden der USA scheint die Quote aber erstaunlich hoch.
Dies soll nichts beschönigen sondern dient nur der Dokumentation. Hinter jeder Zahl steckt ein Schickal. So furchtbar das alles auch ist, es ist keinem Kind damit gedient, mit Hysterie und Verwirrung das Problem anzugehen, hier hilft nur Aufklärung und entschlossenes Handeln nach klaren Richtlinien.
Diese materielle Welt ist wie Parivadi Prabhu richtig bemerkte und Srila Prabhupada ständig betonte, ein Ort, an dem sich viele Verrückte herumtreiben, deshalb ist Wachsamkeit und verantwortliches Handeln angesagt. Manch andere Bewegung mit träumerischen Idealen ist in den ersten Jahren ihrer Gründung an diesem Problem der harschen Realität und ähnlichen zerbrochen. Es spricht für die innere Stärke iskcons , das sie sich dem Problem stellt und versucht, die angemessene Antwort zu finden, statt vor den Perverslingen zu kapitulieren und davon zu laufen. Für konstruktive Vorschläge von kompetenter Seite sind die betreffenden repräsentanten iskcons jederzeit dankbar.
Hare Krishna!
D. Berghof