Der reine Gottgeweihte

Eine Neigung, die besonders im Kali-Yuga besonders hervortritt, besteht darin, sich in Meinungsverschiedenheiten zu verlieren, indem man über Begriffe streitet, die man jedoch anders definiert als das Gegenüber. Der eine spricht also von Äpfeln und der andere von Birnen. Die Parteien beharren dann auf ihren jeweiligen Standpunkten, ohne sich darum zu bemühen, nachzuforschen, ob der andere vielleicht über ganz andere Dinge spricht.

Viele Begriffe existieren parallel mit verschiedenen Bedeutungen, so auch der Begriff pure devotee oder reiner Gottgeweihter.

Klassisch unterscheidet man bei bhaktas (Devotees, Gottgeweihten) zwischen Anfängern, mittleren und hochrangigen. Bei der Anwendung dieses klassischen Systems meint man natürlich den hochrangigen bhakta, wenn man von einem reinen Gottgeweihten spricht. Ein solcher Devotee möchte stets hingebungsvollen Dienst darbringen und keine Sekunde mit anderen Tätigkeiten verschwenden (vgl. Bhagavad-gita 12.8). Sein Geist ist immer auf das höchste Ziel gerichtet und weicht nicht ab, denn er hat verwirklicht, dass es nichts erfüllenderes gibt als bhakti-rasa, den Nektar der Hingabe.

Für einen Anfänger oder Laien ist es kaum möglich, eindeutig festzustellen, ob jemand nun ein solch reiner Gottgeweihter ist. Es ist so ähnlich, wie wenn man nach Gold sucht, jedoch nicht weiss, was Gold ist. Erschwerend kommt ja hinzu, dass das Verhalten von reinen Seelen in vielerlei Hinsicht oft nicht zu verstehen ist. Sie posaunen ihre Qualitäten nicht hinaus sondern bewahren ihre Schätze oft im Inneren auf. Darum bieten sich für Schwindler gute Gelegenheiten, Menschen in die Irre zu leiten, und das geschieht ständig. Shrila Prabhupada vermied es deshalb, sich selbst als eine fortgeschrittene Person zu bezeichnen. Er lehrte seine Schüler, dass sie sich hauptsächlich auf folgende Thematik konzentrieren sollten:

Und zwar sagte Shrila Prabhupada einmal, alle Mitglieder der ISKCON seien als reine Gottgeweihte anzusehen. Wie ist das nun zu verstehen? Shrila Prabhupada brachte damit zum Ausdruck, was Shri Chaitanya Mahaprabhu in Seinem Gespräch mit Ramananda Raya als Essenz für das Wirken der Hare-Krishna-Bewegung heraus destilliert hat, nämlich das erzeugen reiner unverfälschter Hingabe. Mit anderen Worten: Die Hare-Krishna-Bewegung dient ausschließlich dem Zweck, die Lebewesen mit reinem hingebungsvollen Dienst zu segnen. Dies gilt für die Anfänger, die Devotees auf der Mittelstufe und auch für die weit fortgeschrittenen. Selbst der Anfänger lernt bei der Hare-Krishna-Bewegung unmittelbar die Grundsätze reinen hingebungsvollen Dienens, obwohl er sie zunächst einmal nur äußerlich verstehen und befolgen mag.

jivera 'svarupa' haya
krsnera 'nitya-dasa'
krsnera 'tatastha-sakti'
'bhedabheda-prakasa'

Übersetzung:

Es ist die wesensgemäße Stellung des Lebewesens, ein ewiger Diener Shri Krishnas zu sein, denn es ist Teil der marginalen Energie, gleichzeitig eins und verschieden vom Herrn. (Chaitanya-Caritamrita, Madhya 20.108)

Novizen üben von Anfang an diese Stellung als Diener. Sie üben auch von Anfang an, diesen Dienst ohne Forderung von Gegenleistungen auszuführen; in dem Verständnis, dass es gerade das Element des sich Verschenkens ist, das die Beziehung zu Gott richtig aufblühen lässt. Dank der Gnade Shri Chaitanyas erfahren selbst Neulinge Einblicke in die rasas (Geschmäcker) reiner Hingabe, wenn sie sich auf den Vorgang einlassen. Diese Anreize sollen ihnen dazu verhelfen, weiter zu machen, um noch tiefer in die göttliche Beziehungswelt eintauchen zu können. Von Anfang an also praktizieren und kosten ernsthafte Devotees reine Hingabe, wobei sie sicher nicht immer stetig sind und eben die Gefahr besteht, dass sie nachlässig werden. Solange ein Kandidat dem Vorgang folgt, wie er von Shri Chaitanya über die Schülernachfolge zu uns gelangt, gehört er irgendwie zum Bereich der reinen Hingabe. Es sprießt also ein Pflänzchen reiner Hingabe, die bhakti-lata, meist neben viel noch vorhandenem Unkraut, das es zu jähten gilt. Die Tatsache, dass eben noch Unkraut vorhanden ist, lässt NICHT den Schluss zu, es könne keine reine Pflanze vorhanden sein. Vielmehr ist es so, dass die gewünschte Pflanze eben mitten im Unkraut wächst. Wer ernsthaft das Unkraut bekämpft und die willkommene Pflanze bewässert, der bleibt auf dem Pfad reiner Hingabe und ist nach der Definition Shrila Prabhupadas ein reiner Gottgeweihter, natürlich nur so lange, wie er eben dem Pfad folgt.

Leider ist es im Kali-Yuga stark verbreitet, durch Propaganda die Menschen zu verunsichern. Man fängt mit einem Vorgang an, und wenn es nicht gleich funktioniert, dann läuft man zum nächsten "reinen Gottgeweihten". Und überall hört man dann: Hier ist er und aus der anderen Ecke, nein hier! Um diesem Treiben zu entgehen war Shrila Prabhupada exemplarisch zurückhaltend, was die Zurschaustellung der eigenen Person betraf. Er überzeugte hingegen durch sein entschlossenes Wirken, die Treue zur Tradition und natürlich auch die Früchte, also Dinge, die auch ein Anfänger zum Teil wahrnehmen kann.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Shri Chaitanya mit Shrila Prabhupadas Aussendung für das Kali-Yuga effektivem Predigen den Vorrang vor Nabelschau gibt. Wir kommen am besten voran, wenn wir in der Gemeinschaft von Neulingen, mittleren und fortgeschrittenen Devotees versuchen, die Mission Shrila Prabhupadas in möglichster Eintracht fortzuführen. Auf diese Weise ist ein natürliches Wachstum reiner Hingabe am wahrscheinlichsten. Wir müssen uns dann nicht künstlich auf eine vermeintlich hohe Ebene stellen, um wenig später als Schummler entlarvt zu werden. Vielmehr werden wir auf diese Weise durch Shri Chaitanya Selbst gerettet, wie es Shrila Prabhupada gesagt hat. Shrila Prabhupada stellte sich selbst nie als Retter dar, obwohl er es ist, sondern wies darauf hin, dass wir durch die Gnade Shri Chaitanyas gerettet werden, wenn wir in der Gemeinschaft der Gottgeweihten unser bestes geben, egal in welcher Position, ob als Schüler, Meister oder Gönner.

Das soll nicht heißen, dass es in der ISKCON keine weit fortgeschrittenen Gottgeweihten gibt, und es soll auch nicht heißen, dass Anfänger überhaupt keine Möglichkeit haben, dies einzuschätzen. Es gibt durchaus wichtige Indizien, die den Schluss nahelegen, es mit einer erhabenen Person zu tun zu haben. Dennoch sollte man gerade im Kali-Yuga sich unter Einhaltung der Vaishnava-Etiquette vor voreiligen Schlussfolgerungen hüten. Shrila Prabhupada, dessen Wirken in den Schriften vorausgesagt wurde, gibt uns klare Anweisungen, wie wir zusammen in der Gemeinschaft der Gottgeweihten gesunden Fortschritt machen können und wie die Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein aufblühen kann, wenn wir unsere jeweiligen spirituellen Pflichten erfüllen.

Euer Diener

Parivadi das