Ora et Labora
Thema 12/2012
Ein Vergleich der religiösen Grundsätze, die das Leben ernsthafter Spiritualisten bestimmen, führt zu der Erkenntnis, dass diese eng miteinander verwandt sind. Das ist nicht verwunderlich, weil alle Religion aus der gleichen Quelle fließt. Gott ist den Lebewesen auf mannigfaltige Weise behilflich, das Leben zu meistern. Ein grundlegendes Beispiel von Deckungsgleichheit von spiritueller Theorie und Praxis bei den bewährten Traditionen ist der Wahlspruch Ora et labora, wie wir ihn insbesondere von den Benediktinermönchen kennen. Es kommt auf das rechte Verhältnis der Faktoren Arbeit und Gebet an, um effektiven Fortschritt auf dem Weg zurück zu Gott erzielen zu können. Im Vaishnavatum, also auch bei der Hare-Krishna-Bewegung, werden diese beiden grundlegenden Bestandteile religiöser Praxis wie folgt herausgestellt:
a) bhagavat-viddhi (innerer Weg): Der innere Weg, das Heiligen des Namens Gottes, die Verherrlichung Gottes, also das Herzensgebet, ist der direkte Weg. Wenn wir die Namen Gottes chanten, also intim beten, haben wir direkt Gemeinschaft mit Gott, sind also bereits am Ziel.
Shri Krishna erklärt hierzu in der Bhagavad-gita (9.14):
satatam kirtayanto mam
yatantas ca dridha-vratah
namasyantas ca mam bhaktya
nitya-yukta upasate
“Ohne Unterlass preisen sie Meine Herrlichkeit, bemühen sich mit großer Entschlossenheit und verneigen sich vor Mir. So verehren Mich die großen Seelen unaufhörlich mit Hingabe.“
Diejenigen also, die bereits vollkommen gottesbewusst sind, benötigen neben dem Herzensgebet keine weiteren Lebenszutaten.
b) pancaratrika-viddhi (spirituelle Tätigkeiten): Weil wir in der Regel jedoch noch nicht so weit sind, dass wir im Herzensgebet die Anwesenheit Gottes nachhaltig und ununterbrochen realisieren können, müssen wir uns in unterstützenden Tätigkeiten üben, was man allgemein als Arbeit bezeichnen kann. Frühes Aufstehen, ein ordentlich und sauberer Lebensstil, welcher mittels sinnvoller gottgefälliger Beschäftigungen aufrecht erhalten wird, sind die wichtigsten Elemente in diesem Zusammenhang.
Diese klösterlich anmutenden Erkenntnisse sind nicht nur für Mönche und Nonnen relevant sondern bilden die Grundlage für jede aussichtsreiche Bemühung eines jeden von uns, auf dem Wege nach Hause zu Gott Fortschritt zu machen. Im allgemeinen besteht das Missverständnis, dass wahre Askese oder Entsagung nur für berufsmäßige Ordensangehörige gedacht ist, der normale Mensch jedoch damit nichts zu tun habe. Shri Krishna ist hier anderer Meinung und erklärt:
yam sannyasam iti prahur
yogam tam viddhi pandava
na hy asannyasta-sankalpo
yogi bhavati kascana
“Du solltest wissen, dass das, was man als Entsagung bezeichnet, das gleiche ist wie Yoga oder der Vorgang der Verbindung mit dem Höchsten, o Sohn Pandus, denn niemand kann ein Yogi werden, solange er nicht dem Wunsch nach Sinnenbefriedigung entsagt.“ (Bhagavad-gita 6.2)
Yoga ist ein Thema, welches bereits für die Massen aufbereitet worden ist, so dass also die von Shri Krishna eben genannten Prinzipien für uns alle relevant sind, nicht nur für berufsmäßig Geistliche. Es ist gut, dass sich die Menschen mit der Yoga-Thematik beschäftigen, jedoch wird aus dem vorher zitierten Vers klar, dass es sich bei den meisten angepriesenen Wellness-Yoga-Methoden zur Verbesserung unseres körperlichen Wohlgefühles gar nicht wirklich um Yoga handelt. Die Menschen werden - wie so oft - betrogen. Shri Krishna rät uns allen, wahre Yogis zu werden, was nebenbei zu ewig anhaltender Gesundheit führt (siehe unser Beitrag zu Woche 8 dieses Jahr).
tapasvibhyo ´dhiko yogi
jnanibhyo ´pi mato ´dhika
karmibhyas cadhiko yogi
tasmad yogi bhavarjuna
„Ein Yogi ist größer als ein Asket, größer als ein Empiriker und größer als ein fruchtbringender Arbeiter. Deshalb, o Arjuna sei unter allen Umständen ein Yogi.“ (Bhagavad-gita 6.46)
Dieser Vers darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass Arbeiter oder Arbeit gering geschätzt würden. Nein, es ist hier von fruchtbringenden Arbeitern die Rede, solchen also, die nur arbeiten, um sich ein sinnlich angenehmes Leben zu gestalten. Die für spirituellen Fortschritt förderliche Arbeitshaltung kommt klar in folgendem Bhagavad-gita-Vers (18.11) zum Vorschein:
na hi deha-bhrita sakyam
tyaktum karmany asesyatah
yas tu karma-phala-tyagi
sa tyagityabhidhyate
„Für ein verkörpertes Wesen ist es in der Tat unmöglich, alle Tätigkeiten aufzugeben. Aber wer den Früchten seiner Tätigkeiten entsagt, gilt als jemand, der wahre Entsagung ausführt.“ (Bhagavad-gita 18.11)
Mit bestechender Klarheit zerschmettert hier Shri Krishna alle Fehlvorstellungen über Arbeit und Yoga!!! Richtig ausgeführte Arbeit ist Yoga!
Seine Götlliche Gnade A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada kommentiert zu dem eben zitierten Vers denn auch:
„Wahre Entsagung bedeutet deshalb, für Krishna zu arbeiten .... Solche Seelen befinden sich auf einer sehr hohen Ebene; sie sind eigentlich sannyasis und befinden sich im Lebensstand der Entsagung. ...“
In der Praxis kommt es nun für jeden von uns darauf an, wie wir in unseren jeweiligen Lebensumständen Gebet und Arbeit so kombinieren können, dass wir effektiv voranschreiten können, um letztendlich vollkommen krishnabewusst zu werden. Ich wünsche es Ihnen von ganzem Herzen!
Ihr Diener
Parivadi das
P.S.: Gottgefällige Tätigkeiten werden in Sanskrit übrigens mit dem Begriff „artik“ oder „arati“ benannt. Die Verwandtschaft mit dem deutschen Wort „artig“ ist frappierend. Seien wir also artige Kinder Gottes!
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