Selbstbetrug oder die Flucht vor sich selbst (On the run)

Thema 34/2010

Ein grundlegendes Prinzip des materiellen Daseins ist Furcht, die Angst vor dem Tod. Shri Krishna Selbst ist der Tod (vgl. Bhagavad-gita 9.19, 10.29, 10.34, 11.26 bis 11.30, 11.32). Wir sind ständig auf der Flucht, suchen Zerstreuung, Ablenkung, Unterhaltung und ZEITVERTREIB. Die Furcht vor Shri Krishna ist gleichzeitig auch die Angst vor uns selbst, denn wir sind ja Teile Shri Krishnas.

Dieses Weglaufen drückt sich in mannigfaltiger Weise aus, beispielsweise durch

- Zufluchtnahme in Konsum
- Selbstüberschätzung
- Selbstunterschätzung
- Rollenspiele und andere Ablenkungen
- Workoholiksyndrome
- Besserwisserei

u.v.m.

Am schwersten ist es, sich einzugestehen, auf welcher Ebene man wirklich steht. Viel lieber möchte man abschweifen in höhere Gefilde, in die Himmelswelten oder von Liebe schwärmen. Die vedische Tradition gibt folgende grundlegende Bewusstseinszustände an:

1) Annamaya (Idenitifizierung mit den materiellen Sinnen)
2) Pranamaya (Identifizierung mit den materiellen Handlungen)
3) jnanamaya (Identifizierung mit dem Denken)
4) vijnanamaya (Identifizierung mit ewigem Sein)
5) anandamaya (Identifizierung mit ewigem Glück)

Natürlich gibt es innerhalb der fünf Grundkategorien noch viele Verästelungen, jedoch kann man anhand dieser Stufen schon ein logisches System erkennen, welches Sinn ergibt. Wir können selbst mal versuchen, herauszufinden, wie wir in unserem Alltag jeweils bewusstseinsmäßig situiert sind:

- Ist es uns wichtig, dass wir mindestens fünf mal am Tag ein gutes Menü bekommen?
- Ist es uns wichtig, zählbare Resultate zu erzielen?
- Ist es uns wichtig, möglichst viele Bücher dieses Jahr noch abhaken zu können?
- Ruhen wir in uns selbst?
- Sind wir unabhängig von den materiellen Gegebenheiten glücklich?

Diese Fragen - obwohl sie noch sehr allgemein sind - werden oft gar nicht ehrlich beantwortet:

- Nein nein, das Essen ist mir gar nicht wichtig!
- Nein nein, ich bin ganz losgelöst! Ich lasse die Energien fliessen und tue mir keinen Zwang an.
- Nein nein, lesen ist was für Anfänger! Jemand der den Durchblick hat, ist auf Bücher nicht angewiesen!
- Klar, ich ruhe in mir selbst. Ich bin glücklich!

Wenn man sich so umhört in "spirituellen" Kreisen, dann bekommt man manchmal den Eindruck, als fielen die Heiligen nur noch so vom Himmel. Das ist auch gut so; Es geht sicher vieles in die richtige Richtung, zweifellos.

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Nach diesem brainstorm jetzt ein Appell von Shri Krishna:

naty-asnatas tu yogo ´sti
na caikantam anasnatah
na cati-svapna-silasya
jagrato naiva carjuna

"O Arjuna, es ist nicht möglich, ein yogi zu werden, wenn man zuviel isst oder zuwenig, wenn man zuviel schläft oder zuwenig!" (Bhagavad-gita 6.16)

Was möchte uns Shri Krishna hier sagen? Wir wollten doch von Liebe sprechen!?

Shri Krishna holt uns da ab, wo wir uns befinden, nämlich in unserem grob- und feinstofflichen Körper in dieser Welt! Er kümmert sich auch um unsere täglichen Probleme des Essens und Schlafens; nicht nur die Krankenkassen, die sich gegenseitig mit Tipps für die Versicherten übertreffen.

Nicht nur wir sind manchmal hin- und hergerissen, wenn es darum geht, welche Schwerpunkte im Leben wir setzen sollen:

- Sollen wir in den Wald gehen, um dort als Einsiedler und yogis zu leben? - Sollen wir ein bürgerliches Leben führen, so wie es unsere Eltern von uns wünschen?
- Sollen wir unseren Freunden der Null-Bock-Generation folgen und das Leben einfach vor sich hinschleifen lassen?
- Sollen wir fromm leben, um in den Himmel zu kommen?

.....

Auch Arjuna, der große Krieger, war verwirrt; Beispiele:

"Arjuna sprach: O Janardana, o Keshava, warum willst Du, dass ich an diesem schrecklichen Kampf teilnehme, wenn Du glaubst, dass Intelligenz besser sei als fruchtbringende Tätigkeiten?" (Bhagavad-gita 3.1)

"Arjuna sagte: O Krishna, zuerst forderst Du mich auf, aller Tätigkeit zu entsagen, und dann wieder empfiehlst Du mir, in Hingabe zu handeln. Bitte sage mir nun eindeutig, was von beidem segensreicher ist." (Bhagavad-gita 5.1)

.....

Wir sehen also, dass das Wissen über verschiedenste Bewusstseinsebenen und Handlungsweisen umfangreich ist, jedoch ist der Grad der Verwirrung aufgrund dieser Informationsflut gewaltig angestiegen. Angehörige einfacher Kulturen haben es da leichter, weil dort nicht viel diskutiert wird:

- Der Sohn des Landwirtes übernimmt den Hof und die damit verbundenen Pflichten.
- Das Mädchen in einer einfachen dörflichen Kultur ehelicht einen angemessenen Partner und fügt sich ihrem Schicksal.
- Die Kinder aus einer tugendhaften städtischen Familie setzen die Familientradition fort.

Da stellt sich nun die berechtigte Frage:

Was nutzt uns der Durchblick, wenn wir am Ende nicht wirklich etwas gewinnen und obendrein verwirrt dastehen und nicht entschlossen einem Pfad folgen können? Haben es da nicht die "einfachen" Leute leichter, die ihrer traditionellen Pflicht folgen?

All diese Erwägungen sind berechtigt und richtig! Wenn wir mit höherem Wissen betraut werden, müssen wir richtig damit umzugehen lernen, sonst wird es tatsächlich gefährlich. Der Zauberlehrling gerät in Gefahr, denn die Geister, die er rief, wird er nicht mehr los. So findet man heutzutage viele Menschen, die alles mögliche wissen und alles mögliche versucht haben, die aber nicht wirklich eine Richtung ernsthaft einschlagen.

Der Schlüssel für ein effektives Leben ist die Eigenschaft der Demut, die wichtigste Eigenschaft zur Förderung spirituellen Fortschritts (Schuster bleib bei Deinen Leisten!):

"Ein ehrlicher Straßenfeger ist weitaus besser als ein Scharlatan, der nur meditiert, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen", so Seine Göttliche Gnade A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada zu diesem Thema (Kommentar zu Kapitel 3, Vers 7, letzter Satz, Bhagavad-gita wie sie ist). Dem ist nichts hinzuzufügen.

Wenn wir bei all unseren Studien auf dem Teppich bleiben und unsere jeweiligen Pflichten, die sich auf verschiedenen Ebenen befinden, nicht vernachlässigen, befinden wir uns auf der sicheren Seite. Ja, es ist eben wichtig, wie wir uns ernähren, wie wir schlafen, wie wir uns bewegen. Im Detail steckt oft der "Teufel". Schlechte Angewohnheiten bringen selbst fortgeschrittene yogis zu Fall!!!

Darum besser Schritt für Schritt vorangehen und dabei auch wirklichen Vorbildern folgen; nicht den Gipfelstürmer spielen und dann abstürzen!

Konzentrieren wir uns auf unsere Pflichten, dann sind wir nahe bei Gott und bei uns selbst! Machen wir eine Absage an den Selbstbetrug, der uns einflüstert, welche Helden wir sind oder sein könnten!

Das schöne am Pfad des Bhakti-Yoga ist, dass wir auf den fünf am Anfang beschriebenen Bewusstseinsebenen parallel arbeiten können, ohne ein Minderwertigkeitsgefühl haben zu müssen. Shri Krishna ist Selbst derjenige, der uns das für uns angemessene setup gibt:

"Die Überseele, die höchste Persönlichkeit Gottes, die Sich neben der individuellen Seele befindet, ist der Zeuge der Tätigkeiten der individuellen Seele und die Quelle ihrer verschiedenen Bewusstseinszustände." (Bhagavad-gita wie sie ist, 8.4, Auszug aus dem Kommentar von HDG AC Bhaktivedanta Swami Prabhupada)

Shri Krishna gibt uns das Bewusstsein, welches das beste für unsere jeweilige Situation ist. Wir müssen uns nicht in Einbildungen und Halluzinationen hinein steigern. Wir müssen auch nicht Luft- oder Lichtesser oder Waldasketen werden, wenn wir es nicht schon sind, auch nicht müssen wir wir ein Dauerlächeln an den Tag legen, um unseren erlangten Glückszustand zur Schau zu stellen! Wir dürfen ehrlich sein! Wenn wir uns redlich bemühen, unser Leben in den Dienst der Höchsten Persönlichkeit Gottes zu stellen, werden wir richtig gelenkt werden zu mehr und mehr erfülltem Leben. Wir müssen dann nicht einmal mehr fragen, ob wir glücklich sind, denn wer glücklich ist, fragt so etwas nicht! Er/Sie möchte dienen, freut sich an der Freude des Höchsten (das ist die höchste Bewusstseinsstufe!).

"Höchste Hingabe wird in kleinen Schritten erreicht, indem man sich ständig um Selbstverwirklichung bemüht, und zwar mit Hilfe der Schriften, eines frommen Lebenswandels und Ausdauer und Praxis." (Brahma Samhita 5.59)

Schlussfolgerung: Alle fünf klassischen Bewusstseinsebenen werden durch hingebungsvollen Dienst (Bhakti-Yoga) transzendiert. In diesem System geben sich der Straßenfeger, der Asket, der Priester, der Lehrer, der Arbeiter, der Angestellte usw. die Hand. Alle dienen sie dem Einen in mannigfaltiger Weise, mit den Sinnen, dem Geist und dem Ego.

Ihr Diener

Parivadi dasa