Sinnvolles Zusammenleben

Thema 46/2008

EINLEITUNG

Wie bereits im letzten Beitrag angekündigt, möchten wir an dieser Stelle kurz aufzeigen, welches Verständnis einer sinnvollen Gesellschaftsordnung sich aus den vedischen Schriften ergibt:

Shri Krishna beschreibt dieses in Grundzügen in der Bhagavad-gita. Der Schöpfer des Universums, Brahma genannt, hat von Shri Krishna die Aufgabe bekommen, den Lebewesen es zu ermöglichen, sich ihren Neigungen entsprechend zu betätigen, ihnen gleichzeitig aber Wege zur Erhebung aus der materiellen Verstrickung zu weisen bzw. diese Erhebung systematisch zu fördern. Brahma empfing aus der transzendentalen Urschwingung die Veden, die alles nötige Wissen zur Schöpfung eines entsprechenden Kosmos enthalten. Dieses Wissen ist so umfangreich, dass wir nicht einmal nur daran denken können, es als Menschen zu erfassen. Nur winzige Ausschnitte werden uns je nach Ort, Zeit und Umständen zugänglich sein. Das reicht aber aus, um die jeweilige Situation realistisch einschätzen zu können. Wir müssen also nicht alle Details kennen, um verstehen zu können, was notwendig und gewollt ist bzw. welche Missstände es gibt.

DER KOSMOS

Der Kosmos ist so gegliedert, dass die verschiedenartigsten Lebewesen an entprechenden Orten ihre Neigungen ausleben können. An jedem dieser Orte gibt es Spielregeln, die der Lage angemessen sind. Verletzungen der Regeln führen zu ungewünschten Begleiterscheinungen für die Straftäter, je nach Gewicht der Ordnungswidrigkeiten.

Die Existenzebenen werden grob unterteilt in die höheren, die himmlischen, die irdischen, die dämonischen und die höllischen Systeme. Auf den höheren Systemen sind die Lebewesen im yoga sehr fortgeschritten und streben stufenweise der Befreiung aus dem Kreislauf von Geburt und Tod entgegen. Die himmlischen Systeme dienen ehemals frommen Erdenbewohnern als Orte des Genusses. Die Frommen erhalten dort ihren vergänglichen Lohn und gelangen dann wieder zu den irdischen Ebenen, wo sie eine neue Chance bekommen, sich aus dem kosmischen Kreislauf zu befreien. Auf den dämonischen Systemen leben diejenigen, die dem Materialismus fröhnen und nicht durch religiöse Lehren gestört werden wollen. Sie verehren dort diejenigen, die den Materialismus befördern, also Dämonen. In den höllischen Systemen werden Lebewesen bestraft, die auf den irdischen Ebenen äußerst sündvoll waren. Die Strafen sind jedoch nicht ewig sondern haben ein Ende. Die Lebewesen werden also auch wieder aus der Hölle entlassen, wenn sie ihre Strafe abgebüßt haben. In der Regel steigen sie in der ein oder anderen Weise über verschiedene Lebensarten wieder in die menschliche Lebensform auf. Sie haben dann wieder die Chance, spirituellen Fortschritt zu machen, oder aber lassen sie die Chance wieder ungenutzt verstreichen etc.

DIE IRDISCHE EBENE

Die menschliche Lebensform auf den irdischen Systemen ist besonders dazu bestimmt, Selbst- und Gotteserkenntnis zu erlangen, um aus dem Kreislauf von Geburt und Tod aussteigen zu können und nach Hause, ins Reich Gottes, zurück zu kehren. Dies gilt besonders für Menschen, die sich als zivilisiert bezeichnen.

Um das Zusammenleben auf dem Planeten Erde sinnvoll zu gestalten, ist es unabdingbar, die verschiedenen Neigungen der Menschen und auch der Tiere und Pflanzen zu berücksichtigen. Eine künstliche Gleichschaltung wird niemals zu großen Erfolgen führen. Die Lebewesen müssen zu einem Handeln angehalten werden, welches ihrem Wesen entspricht und gleichzeitig ihr materielles und spirituelles Wohl befördert. Staatslenker sollten daher ein differenziertes Ordnungssystem etablieren.

DIE DREI GRUNDENERGIEN

Folgende Grundneigungen lassen sich gemäß den Veden ausmachen:

sattva (Tugend) - Farbe gelb

Tugendhafte Menschen interessieren sich für die Lösung der existenziellen Probleme. Sie streben nach der Befreiung aus dem Kreislauf von Geburt und Tod, tendieren zu einem einfachen Leben, möglichst ohne Gewaltanwendung, essen mäßig und natürlich vegetarisch. Sie meiden das betriebsame Stadtleben und lieben eher ein bescheidenes Leben auf dem Lande.

Auch Tiere und Pflanzen lassen sich in dieser Erscheinungsweise finden. So gehört zum Beispiel die Kuh zur Erscheinungsweise der Tugend, da sie nur Gras isst, jedoch viel zu geben hat. Es ist daher entgegen dem Plan des Schöpfers, die Kühe als Fleischlieferanten zu betrachten.

rajas (Leidenschaft) - Farbe rot

Leidenschaftliche Menschen möchten im Leben etwas erreichen, gehen materiell fruchtbringenden Tätigkeiten nach, möchten in der Gesellschaft angesehen sein und berühmt werden. Sie sind geschäftig und schmieden ständig Pläne, wie sie ihren Einfluss vergrößern können.

tamas (Unwissenheit oder Stumpfheit) - Farbe blau

Menschen in Dunkelheit interessieren sich nur für unmittelbar das, was sie gerade erleben. Sie träumen gern, neigen zu Inaktivität, Gleichgültigkeit, Stumpfsinn bis hin zu Depression. Sie haben keine längerfristigen Pläne zur Erreichung irgend welcher Ziele. Viele Blues-Kompositionen deuten auf diese Erscheinungsweise hin (interessant ist die korrespondierende Farbe blau!!!).

MISCHFARBEN

Nun ist es meist so, dass diese Grundfarben nicht rein auftreten sondern vermischt, jedoch lassen sich bei den Lebewesen schon Tendenzen erkennen, die hervorstechen. Auch schwanken die Bewusstseinszustände eines jeden Lebewesens entsprechend dessen Alter, den Jahres- und Tageszeiten und den sonstigen Einflüssen, die es so gibt.

GESELLSCHAFTLICHE ROLLEN UND DAZUGEHÖRENDE QUALIFIKATIONEN

Shri Krishna umreißt in der Bhagavad-gita kurz die klassischen gesellschaftlichen Rollen, nämlich

die Brahmanen, die Kshatriyas, die Vaishyas und die Shudras

DIE BRAHMANEN (Der Kopf der Gesellschaft)

Die Brahmanen werden mit dem Kopf des gesellschaftlichen Körpers verglichen. Sie sollen intelligent sein, die absolute Wahrheit kennen, tugendhaft leben und das Vorbild eines religiöses Lebens repräsentieren. In der vedischen Gesellschaft fungieren sie als Ratgeber, spirituelle Meister und Priester. Die Staatsführung ist auf ihre Weisheit, Weitsicht und Unparteilichkeit angewiesen. Ein Staatsoberhaupt wird nur akzeptiert, wenn die Weisen ihre Segnungen geben.

Brahmanen dürfen nur aus dem Kreis derjenigen Menschen akzeptiert werden, die hauptsächlich in der Erscheinungsweise der Tugend verankert sind.

DIE KSHATRIYAS (Die Arme der Gesellschaft)

Die Kshatriyas sind die Staatsoberhäupter und sonstige Politiker, die auf das Volk lenkend einwirken. Sie sollen mutig, gerecht, barmherzig und wohltätig sein und die brahminische Kultur hoch halten. Sie sollen nicht totalitär regieren, sondern die Ratschläge der Brahmanen und auch die Volksmeinung berücksichtigen.

Leidenschaftliche Menschen neigen dazu, solche Führungsaufgaben übernehmen zu wollen. Sie sind aber nur dann qualifiziert, wenn sie tugendhaftes Leben wertschätzen, also die Brahmanen respektieren. Im Laufe des Lebens werden solch qualifizierten Kshatriyas immer mehr selbst in der Erscheinungsweise der Tugend gefestigt und sind gehalten, ihr Amt rechtzeitig an einen Nachfolger abzugeben, um sich noch auf den Tod vorbereiten zu können und damit ein Beispiel für andere zu sein. Ein vorbildlicher Führer zeigt also zum Lebensende hin Loslösung von der Welt, was eine hevorstechend gute Eigenschaft ist.

DIE VAISHYAS (Der Magen / Die materielle Versorgung der Gesellschaft)

Die Vaishyas sind die Geschäftsleute und Landwirte. Sie sollen ihre Beschäftigten mit allem nötigen versorgen. Sie tragen mit Abgaben das Staatswesen im allgemeinen.

Die Rolle von Vaishyas nehmen meist Lebewesen ein, die insbesondere von Leidenschaft und Unwissenheit beeinflussbar sind. Die Vaishyas üben Tugend, indem sie nicht ausschließlich an ihr eigenes Wohlergehen denken sollen, sondern eben auch an das ihrer Beschäftigten und des Staates im allgemeinen. Dieser Zug von Barmherzigkeit und Großzügigkeit ist ein wichtiges Element der Tugend. Der Verfasser vermag sich noch an einen Unternehmer zu erinnern, der diese Qualifikation hatte und daher allseits bei der Belegschaft beliebt war. Der Vater des Verfassers hat in diesem Betrieb als Dreher gearbeitet und konnte nicht klagen, sondern wusste nur Gutes von diesem edelherzigen Unternehmer zu berichten.

DIE SHUDRAS (Die Beine der Gesellschaft)

Die Shudras leisten Dienste aller Art für die anderen. Es sind Arbeiter, Angestellte und Beamte in nicht leitender Funktion. Sie sollen pünktlich und fleißig sein und nicht stehlen. Das heißt nichts anderes als dass auch Shudras zu Tugendhaftigkeit angehalten werden, obwohl eben hier auch je nach Dienstanforderungen Menschen akzeptiert werden, die hauptsächlich von Dunkelheit (tamas) beeinflussbar sind.

IST DAS VEDISCHE MODELL AUF UNSERE ZEIT ÜBERTRAGBAR?

Wir fragen uns nun zurecht, ob dieses vedische Modell nicht eine undurchlässige Klassengesellschaft darstellt.

Dem ist zu entgegnen, dass im vedischen Gesellschaftsmodell charakterliche und körperliche Qualifikationen dafür ausschlaggebend sind, welche Funktion jemand übernehmen kann. Das schließt nicht aus, dass man sich im Lauf der Zeit höher qualifiziert und dementsprechend andere Rollen ausfüllen kann. Die Menschen werden in ihrer jeweiligen Funktion dazu angehalten, sich vorteilhaft in Richtung Tugendhaftigkeit zu entwickeln. Es geht im vedischen Modell ausschließlich um QUALIFIKATION. Das heutige, zurecht kritisierte Hindu-Kastensystem ist NICHT vedisch, denn hier werden Menschen aufgrund ihrer Geburt in einer bestimmten Familie abgestempelt. Die Menschen sollen hingegen entsprechend ihren Qualifikationen gesellschaftliche Rollen übernehmen. Qualifikationen kann man sich erwerben, und somit muss ein vedisches System auch den Umstieg von Menschen in andere Funktionen ermöglichen. Solche Fälle sind aus der vedischen Geschichtsschreibung bekannt. Man kann jedoch beobachten, dass bei der Mehrzahl der Menschen bestimmte Eigenschaften das Leben dominieren und sie stetig in ihrem jeweiligen Dienst für die Gesellschaft bleiben, ob als Arbeiter, Angestellte, Beamte, Künstler, Musiker, Politiker etc.

DAS VEDISCHE STAATSZIEL

Vedisches Staatsziel ist es, die Lebewesen im Dienst der absoluten Wahrheit zu beschäftigen. Darin sind sich alle Mitglieder des vedischen Gesellschaftssystems gleich (Gleichheitsgrundsatz). Die absolute Wahrheit wird darin gesehen, dass die Lebewesen von Natur aus Diener sind. Diesen Dienst können sie als Menschen verschiedenster Qualifikation sinnvoll darbringen, indem sie zusammen für das Wohl des Staates arbeiten. Der Staat selbst wird als Repräsentation der absoluten Wahrheit hoch gehalten. Das Staatsoberhaupt soll qulifiziert sein, Gott auf Erden zu vertreten. Nicht mehr und nicht weniger wird von ihm erwartet.

ANALYSE HEUTIGER TENDENZEN

Wenn wir uns die spätkapitalistische Kultur im Lichte der vedischen Tradition betrachten, fällt auf, dass Geld die Welt regiert und nicht die Vernunft, wie es eigentlich sein sollte. Idealerweise sollten gottesfürchtige Staatsführer den nötigen Interessenausgleich zwischen den stärkeren und schwächeren Mitgliedern der Gesellschaft mutig gestalten. Es ist im Lichte der Veden ein Unding, dass die Geldwirtschaft von staatsunabhängigen Instituten gelenkt wird. Das Geldsystem gehört ohne wenn und aber in die Hände des Staates, denn es ist eines der wichtigsten Machtmittel. Ein ungelenkter Kapitalismus führt notwendigerweise zu sozialem Elend. Die soziale Marktwirtschaft war eine vedisch geprägte Idee, wird jedoch immer weniger praktiziert. Es ist die Pflicht des Staatsoberhauptes, Vollbeschäftigung zu garantieren, und es gibt immer genug zu tun für jeden, wenn man sich nur mal die Umwelt ansieht, was man da alles aufräumen und verschönern könnte. Zwangsarbeit ist allerdings kein vedisches Instrument. Für diejenigen, die keiner geregelten Beschäftigung nachgehen möchten, sieht das vedische System ein Bettlerleben vor. Bettler werden im vedischen System nicht verachtet. Sie müssen jedoch nicht in einer Weise unterstützt werden, dass sie sich unnötige Dinge zulegen können. Die Unterstützung sollte sich bei arbeitsfähigen Verweigerern auf das Allernötigste beschränken. Diejenigen jedoch, die arbeiten möchten, müssen entsprechend ihrer Natur beschäftigt werden. Der Verweis auf mangelnde Arbeitsplätze ist keine Ausrede für ein verantwortungsbewusstes Staatsoberhaupt. Der Staat kann all diese Menschen beschäftigen, denn es gibt genug zu tun. Man befördert die Erscheinungsweise der Unwissenheit, wenn man die Menschen einfach ihrem Schicksal überlässt. Das führt zu sittlich und moralischem Verfall. Der Staat hat die Pflicht, die Menschen zur Arbeit anzuhalten, wobei Zwangsarbeit kein vedisch legitimes Mittel ist. Viel besser in diesem Zusammenhang wären vedische Unterweisung in Philosophie. Die Menschen müssten durch die Massenmedien dazu angehalten werden, den Sinn des Daseins zu verwirklichen. Dass genau das Gegenteil geschieht, muss hier nicht erklärt werden.

Der Staat sollte ausschließlich diejenigen Unternehmer fördern, die das Wohl der Beschäftigten im Auge haben bzw. die Gesellschaft insgesamt fördern. Unproduktiven Spekulationsgeschäften sollte der Riegel vorgeschoben werden, denn es geht hier um Diebstahl an Gemeineigentum. Wer durch reine Spekulation Gewinne erzielt, nimmt notwendigerweise anderen etwas weg, ohne dafür einen sinnvollen Beitrag für die Gesellschaft geleistet zu haben.

SCHLUSSBEMERKUNG

Das sind nur ein paar wenige Gedanken zum Thema ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Absolutheit, denn im vedischen Gesellschaftssystem gibt es Meinungsvielfalt. Dieser Beitrag gibt nur die Haltung des Verfassers wieder und ist nicht eine offizielle Stellungnahme der ISKCON.

Ihr Diener

Parivadi dasa