Vegetarismus
Religion
armherzigkeit
und Mitgefühl gegenüber Schwächeren sind zwei grundlegende Werte,
die von sämtlichen Religionen der Welt hoch geachtet werden. Aber
warum werden sie heute nicht mehr auf die Tiere bezogen? Warum fordert
heute keine der großen Religionen von ihren Gläubigen, mit dem Schlachten
von Tieren aufzuhören?
Wäre es nicht logisch anzunehmen, dass Gott, der nur
das Beste für Seine Schöpfung will, den Menschen die gewaltlose,
gesunde vegetarische Ernährung empfiehlt? Doch dieses grundlegende
und selbstverständliche religiöse Prinzip der vegetarischen Lebensweise
wird von vielen Religionen heutzutage völlig verkannt, ja oft sogar
bewusst heruntergespielt oder geleugnet.
"Die Grausamkeit gegen die Tiere und auch schon die Teilnahmslosigkeit
gegenüber ihren Leiden ist meiner Ansicht nach eine der schwersten
Sünden des Menschengeschlechts. Sie ist die Grundlage der
menschlichen Verderbtheit. Wenn der Mensch so viel Leiden
schafft, welches Recht hat er dann, sich zu beklagen, wenn
auch er selber leidet?"
Romain Rolland
(1866-1944, französischer Dichter, Literaturnobelpreisträger
1915)
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Von den heutigen Religionen jedoch wird diese Sünde weder
als solche angesehen noch als solche bekämpft. Wenn wir aber die
ursprünglichen Lehren der einzelnen Religionen betrachten, sehen
wir, dass das Schlachten von Tieren nirgendwo gutgeheißen wird,
ja dass es sogar in vielen Religionen direkt verboten ist.
Christentum
us
der frühchristlichen Geschichtsschreibung geht hervor, dass die
ersten Heiligen und Lehrer in der direkten Nachfolge Jesu nur fleischlose
Nahrung zu sich nahmen, ja sogar einige Apostel werden namentlich
erwähnt.
Im Buch Paedagogus (II,1) des Clemens von Alexandrien
(150-215) heißt es, dass der Apostel Matthäus "von Pflanzenspeisen
lebte und kein Fleisch berührte." Der griechische Geschichtsschreiber
Eusebius (264-339), Bischof von Caesarea, weist in seiner Kirchengeschichte
(OO 2,3) darauf hin, dass der Apostel und Evangelist Johannes ein
strikter Asket und Vegetarier war. Und der Apostel Petrus bezeugt
in den Clementinischen Homilien (XII,6): "Ich lebe von Brot und
Oliven, denen ich nur selten ein Gemüse zufüge."
Weitere Beispiele frühchristlicher Vegetarier sind Tertullian
(160-220), Origenes (184-254), der hl. Antonius (250-356), der hl.
Hieronimus (347-420), und Johannes Chrysostomos (344-407), um nur
die wichtigsten zu nennen.
Wie das Fleischessen in die Bibel kam
is
ins 4. Jahrhundert weisen die Spuren der frühchristlichen Gemeinden
aus Palästina, Byzanz, Griechenland und Alexandrien (Ägypten) darauf
hin, dass bei ihnen das Trinken von alkoholischen Getränken und
das Essen von Fleisch abgelehnt wurde. Sie erhielten ihr Wissen
über die Lehren Jesu von den vielen damals zugänglichen heiligen
Schriften.
Viele dieser urchristlichen Schriften wurden später jedoch
vom "westlichen" Christentum, dem neuen Zweig mit Rom als Zentrum,
ignoriert oder abgelehnt - aus Unfähigkeit, den darin enthaltenen
Lehren zu folgen, und auch aus rein machtpolitischen Interessen.
Der Theologe und Urchristentumforscher G. Ousley kommentiert
diese vorsätzliche Änderung bzw. Verwässerung der Lehren Jesu wie
folgt: "Alles, was diese correctores taten war, dass sie
mit peinlicher Sorgfalt die Evangelien um ganz bestimmte Lehren
unseres Herrn beschnitten, denen sie nicht zu folgen gedachten.
Und zwar handelt es sich hierbei um jene Verbote, die sich gegen
das Fleischessen, berauschende Getränke usw. richteten." (Evangelium
der Heiligen Zwölf. Vorwort. Humata Verlag 1988)
Im Namen Jesu?
ber
nicht nur die Menschen hatten unter dieser willkürlichen Abänderung
der Gesetze Gottes zu leiden, sondern auch die Tiere, die fortan
überall ungehindert geschlachtet und gegessen werden durften.
Im Mittelalter verkündete Thomas von Aquin (1225-1274),
das Töten der Tiere sei durch die Vorsehung erlaubt, denn Tiere
hätten keine Seele. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass
er auch sagte, Frauen hätten keine Seele. Aufgrund ähnlicher
Vorstellungen sahen Christen sich berechtigt, Indianer zu töten
und Menschen aus Afrika zu versklaven und mit ihnen genauso wie
mit den Tieren Handel zu treiben, sie zu schinden und sie nötigenfalls
auch zu töten. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit werden in
christlichen Ländern bis zum heutigen Tag Tiere gequält, getötet
und gegessen.
Bischof Machens von Hildesheim erklärte in seinem "Fastenbrief"
vom 8.3.1949: "Tiere haben keine geistige Seele und kennen kein
Fortleben nach dem Tode. Darum haben sie aber auch keinerlei Würde,
auf die sie Rechte bauen könnten. Und in der Tat, Tiere haben keine
Rechte. Sie haben keinen Anspruch auf Dasein und Gesundheit, auf
Eigentum und guten Ruf."
In einem Gespräch mit dem namhaften Theologen Dr. Heinrich
Streithofen stellte die Zeitschrift Deutsche Geflügelwirtschaft
und Schweineproduktion vom 26.10.1985 die Frage: "Einige Tierschützer
behaupten, die Tiere hätten analog unseren menschlichen Grundrechten
auch ein Grundrecht auf Leben. Was halten Sie davon?" Der Theologe
antwortete: "Das ist Unsinn! Das ist weder rechtlich noch theologisch
noch philosophisch haltbar. Nur der Mensch ist Person. Dem Tier
fehlt Personencharakter. In der Hinordnung des Tieres auf den Nutzen
des Menschen lässt sich nicht nur seine Verwendung, sondern auch
seine Tötung rechtfertigen oder seine Zucht."
Und selbst Papst Johannes Paul II. erklärte im Jahre
1985 in einer Rede vor Biologen: "Es ist gewiss, dass Tiere zum
Nutzen des Menschen geschaffen wurden; das heißt, dass sie auch
für Experimente benutzt werden können."
Es ist also nicht verwunderlich, dass es schon immer
Stimmen gegeben hat, die von einem "Verrat der Christen an den Tieren
" sprechen. "Was erwarten wir von einer Religion, wenn wir das Mitleid
mit den Tieren ausschließen?", fragte sich mit Recht Richard Wagner
(1813-1883), der Komponist und Vegetarier, bereits im letzten Jahrhundert.
Fleischessen und die heutige Bibel
ie
verschiedenen Ausgaben der Kirchenbibel stützen sich auf den Codex
Sinaiticus, den ältesten Bibeltext, der heute noch verwendet
wird. Dieser Text ist in griechischer Sprache abgefasst und stammt
aus dem 4. Jahrhundert nach Christus, das heißt also aus der
Zeit nach dem Konzil von Nicäa! Frühere Bibeloriginale sind heute
nicht mehr verfügbar. Andere Bibeltexte, wie der Codex Vaticanus
und der Codex Alexandrinus, wurden noch später verfasst und
sind, wie auch schon der Codex Sinaiticus, nur kirchliche
Übersetzungen und Abschriften von Abschriften.
Es ist also nicht verwunderlich, dass uns nur noch Bruchstücke
der Lehren Jesu erhalten sind, gerade auch in bezug auf die menschliche
Ernährung. Da uns in dieser Frage die schlüssigen Aussagen Jesu
nicht mehr bekannt sind, erübrigen sich Diskussionen über die Ernährungsweise
Jesu, wenn man sich ausschließlich auf das heutige Neue Testament
stützt. (Es würde den Rahmen dieses Textes überschreiten, hier im
Einzelnen auf die zahlreichen apokryphen urchristlichen Schriften
einzugehen, wie das Essener-Evangelium, die Petrus-Akten oder das
Thomasbuch, die beschreiben, dass Jesus unter anderem strikte Fleischenthaltung
predigte.)
Auch das Alte Testament macht, oberflächlich betrachtet,
keine klaren Aussagen, sondern enthält sich widersprechende Anweisungen.
Gewisse Textstellen gebieten dem Menschen eine vegetarische Ernährung,
wohingegen andere das Fleischessen und Tieropfer erlauben. Bei einer
genaueren Untersuchung jedoch muss man erkennen, dass der fleischlosen
Ernährung der Vorzug gegeben wird.
Im 1. Buch Mose (Gen.9.3) findet man z.B. eine deutliche
Erlaubnis zum Fleischessen, aber diese bezog sich auf die Zeit nach
der Sintflut, als sämtliches Ackerland fortgespült war. Anstatt
sich willkürlich auf diesen Notbehelf zu berufen (man müsste dann
konsequenterweise auch die in 9.6f geforderte Todesstrafe annehmen!),
täte man besser daran, sich an die ursprüngliche Anweisung Gottes
zu halten, die man auf der ersten Seite der Bibel finden kann (Gen.1.29):
"Und Gott sprach: Siehe, ich gebe euch
alles Kraut, das Samen trägt, auf der ganzen Erde, und alle Bäume,
an denen samenhaltige Früchte sind; das soll eure Speise sein."
Im übernächsten Vers bestätigt Gott, dass diese Art
der Ernährung "gut" ist, wohingegen die andere, die Er später erwähnt
(diejenige mit Fleisch), nur erlaubt war zur Befriedigung der verdorbenen
Lust des Menschen - eine Ernährungsweise, die Furcht und Schrecken
über alle Tiere der Erde, über alle Vögel des Himmels, über alles,
was auf Erden "kriecht, und über alle Fische im Meer" legen werde.
(Gen.9.2.)
Das vielzitierte Beispiel mit den Wachteln im 4. Buch
Mose macht diesen Punkt noch klarer. Nachdem das Volk Israel auf
seiner Wüstenwanderung des Manna, des Himmelsbrotes, überdrüssig
geworden war, geschah es, dass Gott Wachteln vom Himmel regnen ließ,
worauf das Volk diese gierig einsammelte und in einem großen Festmahl
verzehrte (beschrieben in Num 11.31-32)
Um jedoch der ganzen Geschichte gerecht zu werden, muss
man den darauffolgenden Vers ebenfalls berücksichtigen: "Sie hatten
aber das Fleisch noch zwischen den Zähnen, es war noch nicht gegessen,
da entbrannte der Zorn des Herrn über das Volk, und der Herr schlug
das Volk mit einer bösen Plage." (Num. 11.33) Mit anderen Worten:
Gott gefiel es nicht, dass die Menschen das Fleisch der Wachteln
aßen."
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